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Die Geschichte erlaubt uns, das Offensichtliche zu erkennen – aber leider erst dann, wenn es bereits zu spät ist.
Prinz Raphael Corrino
Als er Letos wirres schwarzes Haar, seine dreckverschmierte Kleidung und die Schweißspuren im Gesicht betrachtete, musste Rhombur leise lachen. Diese Reaktion war nicht beleidigend gemeint, aber er schien nicht in der Lage zu sein, die groteske Geschichte zu glauben, die Leto erzählt hatte. Er trat zurück und musterte seinen Freund. »Zinnoberrote Hölle! Meinst du nicht, dass du es ... äh ... etwas übertreibst, Leto?«
Rhombur ging zu einem der breiten Fenster hinüber. Überall im Gemach des Prinzen waren in kleinen Nischen selbstgesammelte geologische Kuriositäten ausgestellt – sein ganzer Stolz. Seine Sammlung von Mineralien, Kristallen und Edelsteinen machte ihm beinahe mehr Freude als die Umstände seines Lebens als Sohn des Grafen. Er hätte sich jederzeit viel interessantere Exemplare kaufen können, aber der Prinz hatte bei seinen Streifzügen durch Höhlen und kleine Gänge jeden einzelnen Stein persönlich aufgelesen.
Trotz dieser gründlichen Forschungen war Rhombur für die Unruhe unter den Arbeitern genauso blind geblieben wie der Rest der herrschenden Vernius-Familie. Jetzt verstand Leto, warum der alte Herzog darauf bestanden hatte, dass sein Sohn lernen sollte, ein Sinnesorgan für die Stimmungen in der Bevölkerung zu entwickeln. »Im Grunde ist es so, mein Junge, dass wir nur herrschen, weil sie es uns erlauben«, hatte Paulus zu ihm gesagt. »Zum Glück sind sich die meisten Menschen dieser Tatsache gar nicht bewusst. Wenn du ein guter Herrscher bist, wird niemand aus deinem Volk jemals daran denken, deine Herrschaft infrage zu stellen.«
Als wären ihm Letos dramatische Neuigkeiten und sein mitgenommenes Aussehen peinlich, blickte der junge Mann auf die wimmelnden Massen der Arbeiter in den Produktionshallen hinab. Alles schien ruhig und normal wie immer. »Leto, Leto ...« Er zeigte mit einem dicken Finger auf die anscheinend völlig zufriedenen Proletarier, die wie Ameisen ihre Pflichten erfüllten. »Die Suboiden können nicht einmal selbst entscheiden, was sie zu Mittag essen sollen, ganz zu schweigen von der Organisation eines Aufstandes. Dazu müssten sie viel mehr Initiative entwickeln können.«
Leto schüttelte den Kopf. Er war immer noch außer Atem, sein verschwitztes Haar klebte ihm auf der Stirn. Er zitterte mehr als zuvor, nachdem er jetzt in Sicherheit war und in einem bequemen Formsessel in Rhomburs Privatquartier saß. Als er um sein Leben gelaufen war, hatte er völlig instinktiv reagiert, doch als er sich jetzt zu beruhigen versuchte, bekam er seinen Pulsschlag nicht mehr unter Kontrolle. Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Kelch mit saurem Cidritsaft, der auf Rhomburs Frühstückstablett stand.
»Ich berichte nur, was ich gesehen habe, Rhombur, und ich bilde mir keine Gefahren ein! Ich habe genügend wirkliche Gefahren erlebt, um den Unterschied erkennen zu können.« Er beugte sich vor und blickte seinen Freund mit blitzenden grauen Augen an. »Ich sage dir, da unten geschieht etwas. Die Suboiden haben davon gesprochen, das Haus Vernius zu stürzen, alles niederzureißen, was ihr aufgebaut habt, und selbst über Ix zu herrschen. Sie waren bereit, Gewalt einzusetzen.«
Rhombur zögerte, als würde er immer noch auf die Pointe eines Witzes warten. »Na gut, ich werde es meinem Vater sagen. Du kannst ihm deine Version der Ereignisse berichten, und ich ... äh ... bin sicher, dass er sich um die Angelegenheit kümmern wird.«
Letos Schultern erschlafften. Was war, wenn Graf Vernius das Problem ignorierte, bis es zu spät war?
Rhombur strich sich über sein purpurrotes Gewand und lächelte, dann kratzte er sich irritiert am Kopf. Es schien ihn große Überwindung zu kosten, das Thema erneut anzusprechen; er schien ehrlich verwirrt. »Aber ... wenn du da unten warst, Leto, dann hast du doch gesehen, wie wir uns um die Suboiden kümmern. Sie haben Essen, Unterkunft, Familien, Arbeit. Sicher, wir streichen den Löwenanteil der Gewinne ein ... aber so ist es nun mal. So funktioniert unsere Gesellschaft. Aber wir behandeln unsere Arbeiter doch nicht schlecht. Worüber sollten sie sich beklagen?«
»Vielleicht sehen sie es anders«, sagte Leto. »Körperliche Misshandlungen sind nicht die einzige Form von Unterdrückung.«
Rhomburs Miene hellte sich auf, als er die Hand ausstreckte. »Ich habe eine ausgezeichnete Idee, mein Freund. Mit diesem Thema könnten wir unser heutiges politisches Seminar viel interessanter gestalten. Wir könnten es als hypothetischen Fall diskutieren.«
Leto folgte ihm zum Unterricht – eher traurig als besorgt. Er befürchtete, dass dieses Problem für die Ixianer wohl niemals mehr sein würde als das Thema einer anregenden politischen Diskussion.
* * *
Vom höchsten Turm des Großen Palais herrschte Graf Dominic Vernius über ein industrielles Imperium, das er von seinem Büro aus überblicken konnte, ohne dass es von außen einzusehen war. Der große Mann ging auf dem transparenten Boden seines kugelförmigen Kontors auf und ab, das wie eine prächtige Kristallsphäre an der Höhlendecke hing.
Der Raum bestand aus perfekt verbundenem ixianischem Glas ohne Nähte oder Verzerrungen, so dass es schien, als würde er auf der Luft laufen oder über seinem Reich schweben. Gelegentlich fühlte sich Dominic wie ein Gott, wenn er von hoch oben auf sein Imperium herabschaute. Er strich sich mit einer schwieligen Hand über den glatten, frisch rasierten Schädel. Die Haut kitzelte immer noch von den belebenden Lotionen, mit denen Shando seine Kopfhaut zu massieren pflegte.
Seine Tochter Kailea saß in einem Suspensorsessel und beobachtete ihn. Er schätzte es, dass sie sich für das Geschäftsleben auf Ix interessierte, aber heute war er viel zu besorgt, um sich auf eine Diskussion mit ihr konzentrieren zu können. Er klopfte sich imaginären Schmutz von seinem frisch gereinigten ärmellosen Hemd, drehte sich um und marschierte erneut um seinen silbernen Schreibtisch herum.
Kailea ließ ihn nicht aus den Augen, ohne ihm einen Rat zu geben, obwohl seine Tochter mit dem Problem vertraut war, vor dem sie standen.
Dominic hatte nicht damit gerechnet, dass der alte »Roody« klein beigeben und ohne Gegenwehr auf die Steuereinnahmen verzichten würde, die ihm wegen des neuen Heighliner-Modells durch die Lappen gingen. Nein, der Kaiser würde nach einer Möglichkeit suchen, wie er aus einer simplen wirtschaftlichen Entscheidung einen persönlichen Affront machen konnte. Aber Dominic hatte keine Ahnung, wie die Vergeltung aussehen würde oder aus welcher Richtung er den Schlag zu erwarten hatte. In solchen Dingen war Elrood schon immer unberechenbar gewesen.
»Du musst einfach dafür sorgen, dass du ihm weiterhin einen Schritt voraus bist«, sagte Kailea. »Das kannst du doch am besten.« Sie dachte an den raffinierten Plan, mit dem ihr Vater dem Kaiser eine Konkubine vor der Nase weggeschnappt hatte – und daran, dass Elrood es ihm nie verziehen hatte. Nur ein Hauch von Bedauern trübte ihre Worte. Natürlich wäre sie lieber auf dem wunderbaren Planeten Kaitain aufgewachsen statt hier unter der Oberfläche.
»Wie soll ich ihm einen Schritt voraus sein, wenn ich gar nicht weiß, in welche Richtung er geht?«, erwiderte Dominic. Der ixianische Graf schien kopfüber zu schweben, wenn er die Felsdecke und die Türme des Großen Palais über seinem Kopf und nur die Luft unter den Füßen hatte.
Kailea glättete die Spitze ihres Gewandes, ordnete den Besatz und beugte sich vor, als sie erneut Frachtlisten und Berichte miteinander verglich, in der Hoffnung, eine bessere Strategie für den Vertrieb ixianischer Technikprodukte zu finden. Dominic erwartete gar nicht von ihr, dass sie seine Experten übertraf, aber er wollte ihr den Spaß lassen. Ihre Idee, ixianische Kampfmaschinen an einige Schwarzmarkthändler zu liefern, war ein Geniestreich gewesen.
Er hielt kurz inne, um sich ein wehmütiges Lächeln zu gestatten, das die Enden seines langen Schnurrbarts in den Mundwinkeln verschwinden ließ. Seine Tochter war atemberaubend schön, ein Kunstwerk, wie gemacht, um den Haushalt eines bedeutenden Aristokraten zu verzieren ... aber sie war auch sehr intelligent. Kailea war schon eine seltsame Mischung: Sie war von höflichen Spielen, Modedingen und allem, was mit dem Leben auf Kaitain zusammenhing, fasziniert, aber gleichzeitig fest entschlossen, alle geschäftlichen Angelegenheiten des Hauses Vernius zu verstehen. Bereits in ihrem Alter hatte sie begriffen, dass die Wirtschaftsbeziehungen, die sich hinter den Kulissen abspielten, für eine Frau der Schlüssel zur Macht im Imperium darstellten – solange sie nicht den Bene Gesserit beitrat.
Dominic glaubte nicht, dass seine Tochter verstand, warum sich Shando entschieden hatte, den Hof des Kaisers zu verlassen und mit ihm nach Ix zu gehen. Warum sollte die Geliebte des mächtigsten Mannes im Universum all den Luxus im Stich lassen, um einen wettergegerbten Kriegshelden zu heiraten, der in einer unterirdischen Stadt lebte? Gelegentlich stellte sich Dominic dieselbe Frage, aber seine Liebe zu Shando hatte keine Grenzen, und seine Frau sagte ihm immer wieder, dass sie ihre Entscheidung niemals bereut hatte.
Mit Ausnahme ihrer Schönheit war Kailea in jeder Hinsicht das Gegenteil ihrer Mutter. Die junge Frau konnte sich unmöglich in ihrer prächtigen, extravaganten Kleidung wohl fühlen, dennoch war sie stets prächtig herausgeputzt, als wollte sie auf keinen Fall eine Chance verpassen. Vielleicht bereute sie die verlorenen Möglichkeiten ihres Lebens und hätte sich lieber einem Sponsor im Palast des Kaisers hingegeben. Er hatte bemerkt, dass sie mit den Gefühlen der Zwillingssöhne des Botschafters Pilru spielte, als könnte sie durch eine Heirat mit einem von beiden einen Kontakt zur Botschaft auf Kaitain knüpfen. Aber C'tair und D'murr Pilru hatten sich bereits für die Aufnahmeprüfung zur Raumgilde angemeldet, und wenn sie die Tests bestanden, würden sie keine Woche länger auf dem Planeten bleiben. Jedenfalls war Dominic überzeugt, dass er eine wesentlich gewinnträchtigere Verbindung für sein einziges weibliches Kind arrangieren konnte.
Vielleicht sogar zu Leto Atreides ...
Das gelbe Blinken eines Kom-Auges an der Wand unterbrach seine Gedanken. Eine wichtige Nachricht, Neues über beunruhigende Gerüchte, die sich wie Gift in einem Brunnen verbreitet hatten.
»Ja?«, sagte er. Ohne gefragt zu werden, kam Kailea über den unsichtbaren Boden zu ihm, um den Bericht mitzulesen, der auf der silbrigen Oberfläche seines Schreibtischs erschien. Sie kniff die Augen zusammen, als sie die Worte las.
Der schwache Geruch des Parfüms seiner Tochter und das Glitzern der Kämme in ihrem bronzefarbenen Haar zauberte ein väterliches Lächeln auf sein Gesicht. Sie war eine richtige Lady. Und eine junge Geschäftsfrau.
»Bist du sicher, dass du dich damit belasten willst, Kind?«, fragte er, weil er sie lieber vor den betrüblichen Neuigkeiten abschirmen wollte. Beziehungen zwischen Unternehmern und Arbeitern waren wesentlich komplizierter als technische Innovationen. Kailea blickte ihn nur verärgert an, wie er überhaupt eine solche Frage stellen konnte.
Er las weitere Einzelheiten über die Entwicklungen, von denen er bereits vor einigen Stunden erfahren hatte, obwohl er immer noch nicht alles glauben konnte, was Leto Atreides beobachtet und gehört haben wollte. Unruhen gärten in den unterirdischen Fabrikationsanlagen, die Suboiden brachten ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck – ein beispielloser Vorgang.
Kailea atmete tief durch, um ihre Gedanken zu ordnen. »Wenn die Suboiden Grund zur Klage haben, hätten sie doch einfach einen Sprecher wählen können! Warum haben sie kein offizielles Gesuch eingereicht?«
»Ach, sie sind doch nur schlecht gelaunt, Kind. Sie behaupten, dass sie gezwungen werden, Maschinen zu bauen, die gegen die Gesetze von Butlers Djihad verstoßen, und sie weigern sich, ›blasphemische Arbeiten‹ zu übernehmen.«
Der Bildschirm erlosch, als sie den kurzgefassten Bericht gelesen hatten. Kailea richtete sich auf und stemmte die Hände in die Hüften. Ihre Gewänder raschelten, als sie entrüstet schnaufte. »Woher haben sie nur solche verrückten Vorstellungen? Dabei verstehen sie nicht einmal einen Bruchteil der komplexen wirtschaftlichen Organisation! Sie wurden in ixianischen Einrichtungen gezüchtet und ausgebildet – wer hat ihnen solche Flausen in die Köpfe gesetzt?«
Dominic erkannte verblüfft, dass seine Tochter eine sehr interessante Frage aufgeworfen hatte. »Du hast Recht. Die Suboiden können unmöglich aus eigenem Antrieb auf solche Gedanken gekommen sein.«
Kailea sagte aufgebracht: »Erkennen sie denn nicht, wie viel wir ihnen geben? Wie viel es uns kostet, sie angemessen zu versorgen? Ich habe mir die Kosten-Nutzen-Rechnung angesehen. Die Suboiden wissen gar nicht, wie gut es ihnen geht, im Vergleich zu Arbeitern auf anderen Planeten.« Sie schüttelte den Kopf und verzog die Mundwinkel. Durch den gläsernen Fußboden blickte sie auf die Fabriken, die tief unter ihr lagen. »Vielleicht sollten sie einmal Giedi Primus besuchen – oder Arrakis. Dann würden sie sich nicht mehr über die Zustände auf Ix beklagen.«
Dominic wollte seinen Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. »Die Suboiden sind auf begrenzte Intelligenz gezüchtet, die gerade ausreicht, ihnen zugewiesene Arbeiten zu erledigen ... und sie sollen es tun, ohne sich zu beklagen. Mehr kann ihre mentale Architektur gar nicht leisten.« Nun starrte er genauso wie seine Tochter auf den Höhlenboden hinunter, wo die Bauarbeiter den entstehenden Heighliner umschwärmten. »Kann es sein, dass unsere Bio-Designer etwas Wichtiges übersehen haben? Haben die Suboiden vielleicht sogar Recht? Die Definition eines maschinellen Geistes umfasst ein breites Spektrum, aber es könnte durchaus Grauzonen geben ...«
Kailea schüttelte den Kopf und klopfte auf ihren Datenkristall. »Unsere Mentaten und Rechtsberater achten penibel auf die Befolgung der Djihad-Gesetze, und unsere Qualitätskontrolle arbeitet sehr effektiv. Wir bewegen uns auf sicherem Terrain, und wir können jede unserer Behauptungen beweisen.«
Dominic kaute auf der Unterlippe. »Die Suboiden haben zweifellos keine konkrete Vorwürfe, da wir uns an die Gesetze gehalten haben. Zumindest haben wir die Bestimmungen nicht wissentlich verletzt, in keinerlei Hinsicht.«
Kailea betrachtete ihren Vater, dann blickte sie wieder auf die betriebsame Baustelle. »Vielleicht solltest du Hauptmann Zhaz beauftragen, ein Inspektionsteam zusammenzustellen und jedes Detail unserer Produktionsprozesse zu prüfen. Um zu beweisen, dass die Beschwerden der Suboiden völlig unbegründet sind.«
Dominic dachte über ihren Vorschlag nach. »Natürlich will ich nicht zu hart mit den Arbeitern umspringen. Ich bin nicht an Betriebsunterbrechungen oder gar einer Revolte interessiert. Die Suboiden sollen gut behandelt werden, genauso wie immer.« Als sich ihre Blicke trafen, hatte er den Eindruck, dass sie sehr erwachsen wirkte.
»Ja«, sagte Kailea mit harter Stimme. »So arbeiten sie besser.«